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  Gedichte & Gedanken
  Teufelskreis (Kurzgeschichte)
 



Der Teufelskreis


 

<Seine Silhouette ist deutlich zu erkennen. Er sitzt wie so oft vor dem offenen Fenster, die Gardinen flattern leicht im Wind. Der Mond schaut zum Fenster herein, die Sommernacht ist kühl und der Himmel ist klar. Ich ziehe meine Decke tiefer ins Gesicht. Gleich wird er wieder die Spritze nehmen und die Nadel wird sich tief in die Haut bohren. Ich will es nicht sehen aber kann nicht wegsehen. Er zuckt kurz zusammen, dann wird es leise. Ich versuche zu schlafen.>


„Jeanne steh auf, die Bullen sind da!“, Daron schreckt mich aus meinem Tiefschlaf und zerrt energisch an meiner Jacke. „Was ist?“, schlaftrunken richte ich mich auf. „Die Bullen, Mensch! Keine Zeit für Fragen, komm!“, er reißt mich auf die Beine, packt meinen Schlafsack und rennt los. Ich tue ihm nach und folge ihm bis er außer Atem hinter zwei Müllcontainer kriecht und mir den Mund zuhält. Dabei drückt er mir ungewollt die Luft ab und ich versuche mich aus dem Griff zu befreien, doch er lässt nicht locker. „Sei leise“, zischt er und drückt mich fester an sich.
Es vergehen einige Minuten, bis er mich endlich frei lässt. „Warum verjagen uns die Bullen ständig? Wir machen doch gar nichts Schlimmes!“, maule ich Daron an und werfe ihn einen vorwurfsvollen Blick zu. „Bis auf die Drogen“, murmelt er trocken und steht auf.
„Ja dann lass sie doch weg!“, zische ich ihn an und krame meine Schlafsachen und meinen Rucksack aus der Ecke hervor. „Sei leise du kleine Zicke und sei froh, dass ich auf dich aufpasse“, giftet er mich an und haut mir unsanft auf den Hinterkopf, „Ab Marsch, wir brauchen eine neue Unterkunft!“
Ich seufze. Bis jetzt haben wir in einem herunter gekommenen kleinen Haus geschlafen, mit eingeschlagenen Fenstern, aber mit einem kleinen Tisch und einem kleinen Stuhl. Die Gardinen sind dunkel Rot gewesen und nachts sind sie mir vorgekommen wie kleine blutbegossene Geister, die nach mir griffen, mich verschlingen wollten. Aber auch die werden mir nun fehlen.
Wie bin ich hier nur hinein geraten, denke ich wehmütig, warum bin ich hier? Ich schaue Daron von der Seite an und seufze erneut. Ohne ihn wäre ich schon längst erfroren oder verhungert.
Er hat mich vor drei Monaten in der U-Bahn gefunden. Es war zwei Tage nachdem ich von zu Hause weggelaufen bin. Es gibt vieles woran man sich gewöhnt, wenn man auf der Straße lebt. Der Dreck, der Gestank, die verachtenden Blicke der Passanten während man nach Geld bettelt, die Kälte, das Gefühl überall unerwünscht zu sein, nirgends hinzugehören. Aber an eins werde ich mich nie gewöhnen; an den schrecklichen Hunger.
„Wo gehen wir hin?“, frage ich Daron, der stillschweigend neben mir hergeht. Er reagiert nicht. Da ich weiß, dass er ein äußerst temperamentvolles Gemüt besitzt, frage ich nicht erneut sondern senke nur den Blick und betrachte den unebenen, sandigen Weg. Dann wende ich meinen Blick wieder Daron zu. Er ist viel größer als ich, gut gebaut und hat ein schmales Gesicht. Die Irokesenfrisur passt nicht zu ihm, denke ich heimlich und mustere ihn weiter, das einzige was ich toll an ihm finde sind seine eisigen hellblauen Augen, freche Augen, die alles durchschauen.
Er ist nie wirklich nett zu mir gewesen, aber ich widerspreche ihm nicht, ich bin dankbar dass ich bei ihm sein darf und er mir hilft. Wie alt ist er eigentlich? Frage ich mich und versuche sein Alter abzuschätzen. Er dürfte nicht sehr viel älter als ich sein, aber er wirkt erwachsener als die anderen Jungs in meinem Alter, irgendwas zwischen 18-19, vermute ich.
Plötzlich merke ich wie Daron mich aus den Augenwinkeln heraus anschaut. Wie ein Blitz durchfährt es mich, als unsere Blicke sich treffen.
„Ich weiß es nicht“, beantwortet er endlich meine Frage und wendet seine Augen von mir. Ich sage nichts, sondern folge ihm nur weiterhin.
Die Sonne geht bereits unter und wirft orange Farben auf den Weg, als wolle sie uns den Weg weisen. Ich schüttele den Kopf.

Diese Nacht müssen wir unter einer Brücke schlafen. Es ist matschig, nass und unangenehm kühl.
Ich lehne mich an die Wand und kann nicht einschlafen. Ich höre ein Rascheln neben mir. Ich brauche mich nicht umzuschauen, ich weiß dass es wieder Daron ist. Ich weiß auch was er sucht.
Er wird es aber nicht finden. Ich schließe die Augen und lehne mich ganz zurück.
„Jeanne!“, höre ich ihn brüllen. Aber ich reagiere nicht. „Jeanne!“, brüllt er erneut. Seine Stimme ist ganz nah. Ich öffne meine Augen, er steht direkt vor mir. „Wo ist es?“, schreit er mich an. Ich halte seinem eisigen Blick stand, wiege langsam den Kopf hin und her und tue so als würde ich überlegen. „Ich weiß nicht was du meinst“ „Du weißt es ganz genau!“, plötzlich schrecke ich auf, er greift nach meinem Kragen, sein Atem streicht über mein Gesicht. „Ich hab es nicht genommen was soll ich mit dem Scheiß!“, zische ich ihn an und schlage seine Hand weg. Er weicht einen Schritt zurück, aber lässt mich nicht aus den Augen. Er betrachtet mich stillschweigend eine Weile. „Du lügst“, flüstert er, „das weiß ich“. Ich schließe erneut die Augen, der Wind streicht über meine Ohren, es tut gut, auch wenn ich friere.
„Weißt du eigentlich was du da gerade anrichtest?“, herrscht er mich an, „Verdammt Jeanne!“ Zum ersten Mal höre ich Verzweiflung, in seiner Stimme. Normalerweise hätte er schon längst zu geschlagen. „Jeanne!“
Ich lächle und sage nichts, gar nichts, so wie immer. Er läuft hysterisch auf und ab. Was tue ich hier eigentlich? frage ich mich und plötzlich steigen mir Tränen in die Augen, ich will ihm doch nur helfen. Während die Tränen unbeirrt meine Wangen hinunter kullern, versuche ich zu schlafen. Vielleicht gelingt es mir.

Es ist mitten in der Nacht als ich aufschrecke. Ich weiß nicht wieso aber etwas stimmt nicht. Ein Blick nach rechts sagt mir, es ist sehr spät. Oder früh? Es regnet. Ich höre etwas.
Ich sehe mich um, wo ist Daron? Ich springe auf; „DARON!“ Keine Antwort. „Daron!“ Wieder ist es still. Ich sehe ihn einige Meter neben mir liegen. Warum habe ich ihn nicht bemerkt?
Ich renne schnell zu ihm: „Daron was ist?“ Er antwortet nicht. Ich will ihn wachrütteln. Als ich ihn anfasse merke ich wie verschwitzt er ist. Verwundert ziehe ich die Hand zurück. Daron?
„Oh Gott was habe ich getan!“, ich bin total entsetzt und weiß nicht was ich tun soll. Ich bringe ihn noch ins Grab! Ich stehe auf und laufe im Kreis weil ich nicht weiß wo ich hin soll, was ich tun soll.
Meine Hände krallen sich in meine zerzausten Haare, ich beginne zu schwitzen. Daron, Daron!
„Mir ist schlecht...“, ich schrecke auf, das war seine Stimme! „Es wird alles wieder gut... Daron hörst du, es wird alles wieder gut!“, rufe ich ihm zu. Ich ziehe ihn auf meinen Schoß und drücke ihn an mich. „Ich bin doch bei dir...“
Die Nacht ist lang. Er wacht immer wieder auf, hat heftiges Herzrasen, schwitzt und ruft nach mir. Ich wache auf und drücke ihn an mich bis er sich wieder beruhigt. „Halte durch“, flüstere ich und muss immer wieder anfangen zu weinen.
Am nächsten Morgen werde ich unsanft geweckt. „Da ist sie!“, eine mir völlig unbekannte Stimme ruft über meinen Kopf hinweg etwas zu anderen mir unbekannten Stimmen, schwer hebe ich die Augenlider. Daron liegt nicht mehr in meinen Armen. „Daron!“, mein erster Gedanke gehört ihm, die fremden Gestalten interessieren mich nicht. „Haltet sie fest!“, ruft da Einer und prompt greifen zwei kräftige Hände nach mir. „Wer seit ihr?“, zische ich und erkenne nun die uniformierten Männer, Polizisten. „Wo ist Daron verdammt?!“, schreie ich. „Sei leise!“, die mich umklammernden Hände rütteln mich.
„Jeanne?“, diese Stimme... ja, es ist meine Mutter. „Jeanne du bist es!“ Sie läuft auf mich zu und reißt mich aus dem Griff der Hände. Ich schubse sie von mir. „Wo ist Daron?“, frage ich erneut.
„Dein Freund ist in einer Entzugsklink eingeliefert worden.“, antwortet der Polizist endlich und wirft mir einen schiefen Blick zu. „Darf ich ihn besuchen?“, frage ich entgeistert nach. „Ja darfst du Jeanne, wenn es dir so wichtig ist, alles wenn du willst, aber komm bitte bloß wieder nach Hause“, meine Mutter schließt mich erneut in ihre Arme. Erst jetzt realisiere ich was gerade passiert.
Die Polizei hat uns gefunden. Mich und Daron. Nachdem ich seine Drogen absichtlich verloren habe wurde er in die Entzugsklink eingeliefert und meine Eltern wurden wohl benachrichtigt.
„Mama...“, mir steigen Tränen in die Augen, „Ich will nach Hause!“
Warum bin ich damals weggelaufen? Ich muss mir eingestehen, es gar nicht mehr zu wissen.
Aber vielleicht ist es auch gut so.
Auf dem Weg nach Hause sitze ich im Auto ganz ruhig, noch immer kann ich es nicht richtig fassen, endlich ist es vorbei. Und gleich morgen darf ich ihn besuchen, in der Klinik, dann bringe ich ihm ganz viele Blumen mit und Schokolade und alles was er will. Ich werde ihm danken, dass er auf mich aufgepasst hat und mich entschuldigen dass er so gelitten hat weil ich ihm die Drogen weggenommen habe. Alles das werde ich Morgen tun.

Ich stehe am Grab und halte seine Blumen in der Hand. Die Schokolade ist wohl nicht mehr nötig, denke ich betreten. Ich senke den Blick.
„Danke“, flüstere ich und lege die Blumen nieder, 
„ Danke für alles “

Geschrieben von Renate Wunder



Diese Kurzgeschichte wurde von Renate Wunder Geschrieben und Verfasst und ist somit ihr geistiges Eigentum.
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