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  Gedichte & Gedanken
  Horizon Valley (Geschichte)
 



Horizon Valley
 


 

Das Leben steckt voller Überraschungen und Wendungen. Auch ich musste diese Erfahrung

 

machen. Es ist schon seltsam, wie das Leben sich verändern kann. Plötzlich hast du das Gefühl,

 

die Zeit zieht an dir vorbei, zerrinnt wie Wasser zwischen deinen Fingern und du fragst dich, wird

 

es jemals so wie vorher sein? Was hat das hier alles für einen Sinn? Und du blickst dich Hilfe

 

suchend nach jemanden um, der dir halt gibt, der für dich da ist. Dir einfach mal zuhört.

 

 

 

Ich schlenderte langsam mit meinem besten Freund über den Schulcampus. Ein Steinchen

 

wurde abwechselnd von mir zu ihm und wieder zurück gestoßen, wobei wir keine Worte

 

wechselten. ,,Tut mir Leid", flüsterte er auf einmal und blickte mir tief in die Augen. Ich sah ihn einen Moment lang verwundert an und trat erneut gegen das kleine Steinchen. ,,Was tut dir Leid?", fragte ich eintönig. Achselzuckend blieb er stehen. ,,Keine Ahnung. Ich habe es mir anders vorgestellt. Deinen letzten Tag hier... Und jetzt bin ich so ruhig und sage nichts.", er lächelte matt, ,,Mir wollen keine richtigen Abschiedsworte einfallen, ich kann's einfach nicht fassen." Das triste Lächeln erlosch, als er in mein finsteres Gesicht sah. ,,Steve, ich will nicht weg. Aber das Jugendamt hat diesen Entschluss gefasst. Ich werde dich vermissen", traurig nahm ich ihn in den Arm. ,, Ich werde dich nicht vergessen, du bist mein aller bester Freund."

 

Mit tränenverschmiertem Gesicht wache ich auf, mein Herz pocht und ich spüre wie mir das Blut im Kopf gleichmäßig gegen die Schläfen hämmert. Ich realisiere im ersten Moment nicht genau, dass ich endlich wach bin, bis mein Blick zu dem Wecker schweift, der mich herzlos aus dem Schlaf gerissen hat. Ich richte mich auf, strampele die Bettdecke zurück, stelle den Wecker aus. Wahnsinnige Kopfschmerzen lassen mich stöhnen, das Hämmern wird immer schlimmer. ,,Ich trinke nie wieder", murmele ich schlaftrunken und stelle mich auf meine wackeligen Beine. Seltsam, dass ich von Steve geträumt habe. Das ist so ewig lange her.

 

Ich begebe mich auf Zehenspitzen ins Bad und der blick in den Spiegel gibt mir den Rest. ,,So ein Opfer" , beleidige ich mein Spiegelbild und drücke eine Menge Pasta auf meine wehrlose

 

Zahnbürste, um meine Fahne mit dem Geruch zu überdecken. Hoffentlich bemerken meine

 

Pflegeeltern nicht, dass ich so lange weg war gestern.

 

Schnell schlüpfe ich in meinen Pullover und meine enge Jeans, stopfe mir eine Scheibe Toast in den Mund und mache mich auf den Weg zur Schule. Die Sonne scheint unbarmherzig herab, und das um kurz vor 9 Uhr morgens. Anstatt mich darüber zu erfreuen, stolpere ich müde den Weg entlang, mir ist unglaublich übel. Ja, der Alkohol wirkt wohl noch.

 

Ich biege nach rechts auf das Schulgelände und würde am liebsten sofort wieder kehrt machen. Oh man, das hat mir gerade noch gefehlt: Gordon Matthews!

 

Wie immer steht er da, umzingelt von einem duzend wunderschöner Mädchen, die ihn

 

umschwärmen und verehren. Unauffällig versuche ich mich an ihnen vorbei zu schleichen, aber Gordon scheint einen Peilsender oder sowas an mir angebracht zu haben. Wie jeden Morgen, reißt er sich aus dem Weiberschwarm und geht auf mich zu. Er will gerade etwas sagen, da schneide ich ihm das Wort ab. ,,Sei leise, meine Stimmung ist sowieso schon im Eimer", warne ich ihn und werfe ihm einen tötenden Blick zu. Sein Mund klappt stumm wieder zu und seine Augen bemustern mich stillschweigend. ,,Du bist wunderschön", bringt er anschließend heraus. ,,Halt die Klappe", knurre ich genervt und schiebe mich an ihm vorbei. Ich nehme ihn sowieso nicht ernst, und so seltsam auch klingt, er ist der Grund dafür, dass ich hier keine einzige richtige Freundin habe. Seit dem er sich spaßeshalber an mich ranmacht, redet kein Mädchen mehr mit mir. Er ist der große Weiberheld, ich bin ihnen nur ein Dorn im Auge. Er rafft einfach nicht, dass ich nichts von ihm wissen will, das was für ihn nur Spaß ist, hat mich um meine Freunde gebracht.

 

Somit ist es der einzige Weg, ihn so gut wie möglich abzuweisen. Das klappt leider nicht so gut und so kommt es, dass ich bereits seit 5 Jahren auf diese Schule gehe und alle meine

 

Freundinnen verloren habe. Aber zum Glück verhält sich das männliche Geschlecht mir gegenüber nicht so abweisend, somit habe ich viele Jungen als Freunde. Auf Anhieb habe ich mich gut mit ihnen zurecht gefunden, wobei diese Beliebtheit der weiblichen Seite ebenfalls nicht so recht passt. Es ist ein Teufelskreis. Mittlerweile habe ich mich jedoch an diese Umstände gewöhnt. Mein bester Freund Taylor erwartet mich bereits vor der Klasse und lächelt mich freundlich an, während ich mich ihm nähere.

 

,,Ooh du siehst aber gar nicht gut aus!", lacht er und boxt mir in die Seite. ,,Ouh!", stöhne ich auf und lasse mich auf meinen Stuhl fallen, ,,Das war eine Horrornacht." Taylor lacht und setzt sich zu mir. Er mustert mich von der Seite mit einem kritischen Blick, den ich nicht ganz zuordnen kann. Taylor ist ein von natur aus sympathischer und unkomplizierter junger Mann, mit seinem dichten schwarzen Haar und hellgrünen Augen sieht er einfach umwerfend aus. Er hat lustige Sommersprossen auf der Nase, aber sie machen ihn nicht so kindisch wie die meisten Jungen, die welche haben. Er trägt fast immer den selben Klamottenstyle; Weite dunkle Jeans und ein schwarzes Oberteil. Um die Handgelenke hat er Lederbänder gewickelt, dünne und dicke Streifen, einige sind mit Nieten versehen. Über der rechten Augenbraue hat er ein Piercing. Ich glaube, er ist der Typ der einem auf dem ersten Blick ziemlich Angst einflößt, aber bei näherem Betrachten wie der liebe Onkel von nebenan wirkt.

 

Er war der erste gewesen, der nach dem Umzug auf mich zu gegangen war. Er hatte mir geholfen mich hier zurecht zu finden.

 

,,Du hast eindeutig zu viel getrunken. Geht's?", besorgt legt er einen Arm um mich und sieht mir nun tief in die Augen. ,,Ehrlich?", frage ich und setze meinen Hundeblick auf, ,,Mir geht's

 

Hundeelend" Taylor steht wortlos auf, als unsere Lehrerin zur Tür hereinkommt und geht direkt auf sie zu. Ich weiß nicht was die beiden bereden, aber nach einigen Minuten ruft mich Taylor zu sich und zusammen gehen wir aus dem Klassenzimmer.

 

Die frische Luft tut gut, ich sauge sie tief ein und lasse sie geräuschvoll aus meiner Lunge

 

entweichen, während wir den Schulcampus runter spazieren.

 

,,Ich habe komisch geträumt", erzähle ich ihm und er hört mir aufmerksam zu. ,,Das liegt bestimmt am Alkohol", meint er und blickt zum Himmel. ,,Nein, ich habe von meinem alten besten Freund geträumt. Ich habe ihn seit 5 Jahren nicht mehr gesehen und unser Kontakt ist seit meinem Umzug abgebrochen. Ich habe ihn beinahe vergessen", gebe ich zu bedenken und folge Taylors Blick in den Himmel. ,,Sowas kommt vor", behauptet er matt und wendet sein Gesicht nun mir zu. ,,Kann sein", ich zucke mit den Achseln, weil ich merke, dass Taylor nicht gerne über meinen damaligen besten Freund reden möchte. Wir setzen uns unter eine große, alte Eiche ins Gras und schweigen uns eine Weile an.

 

,,Hat Gordon dich heute wieder belästigt?", fragt er plötzlich. Ich nicke nur und lehne mich zurück.

 

,,Ja, aber ich hab ihn ziemlich schnell abgewimmelt", antworte ich dann knapp und schließe die Augen. ,,Gestern hat er Scarlett Winington den Laufpass gegeben", Taylors Miene bleibt finster.

 

,,Na und? Ich dachte dich interessiert so ein Tratsch nicht", baffe ich ihn an. Plötzlich beugt er sich ganz nah über mich, so nah, dass ich überrascht ein Stück zurückweiche. ,,Grace!", als er meinen Namen messerscharf ausspricht, durchläuft es mich eiskalt. So kenne ich ihn gar nicht, ,,Jeder weiß, dass Scarlett das ist, was sich hier alle Kerle wünschen. Gordon war keine Ausnahme." Ich blinzelte verwundert. ,,Und?" ,,Und?!", genervt lässt Taylor sich Rücklings zurückfallen, ,,Tu nicht so! Er meint es anscheinend verdammt ernst mit dir!" Ich schlucke schwer. ,,Meinst du wirklich?"

 

,,Natürlich!", Taylor ergreift meine Hand ,,Wenn er dich irgendwie belästigt, dann sag mir Bescheid. Ich kümmere mich dann darum" Ich lächele verlegen, ,,Mach dir keine Sorgen".

 

Und so liegen wir zwei da, im Schatten des Baumes, schlafend, bis der Gong zur Pause ertönt und uns weckt.

 

,,Hast du schon den neuen Praktikanten gesehen?" ,,Seit wann nimmt unsere Schule denn welche auf?" ,,Ist doch egal!" "Der ist so süß!"

 

Vor dem Sportunterricht in der Mädchenumkleide, gehen Klatsch und Tratsch wie immer heiß her. Mich interessiert das Gerede überhaupt nicht und so höre ich nur mit einem Ohr hin. Wie immer bin ich die erste, die sich umgezogen hat. Langsam schlendere ich in die noch leere Sporthalle und bemerke erst nicht, dass sich noch jemand außer mir in der Halle befindet. Erst nach einem ,,Hallöchen!", zucke ich zusammen und blicke nach links, wo die mir unbekannte Person lächelnd gegenüber sitzt. Ich verziehe den Mund zu einem gezwungenen Lächeln; wer zum Teufel ist das? Als ich einen Moment genauer hinsehe, stockt mir für kurze Zeit der Atem, mir scheint es als würde ich diesen jungen Mann dort drüben kennen. Die Gesichtszüge sind mir so bekannt, als hätte ich sie irgendwo schon einmal gesehen. Doch dann schüttele ich den Gedanken ab, woher soll ich diesen Mann denn kennen? Dieser lächelt mir immer noch zu und kommt langsam auf mich zu. ,,Kann ich etwas für Sie tun?", frage ich höflich, da ich vermute er habe sich verlaufen. Er schüttelt nur den Kopf und kommt immer näher.

 

Ich weiche einen Schritt zurück und blicke mich

 

um; wir sind immer noch alleine in der Halle.

 

,,Was wollen Sie?", gifte ich ihn an, als er plötzlich seine Hand nach mir ausstreckt. Ich bekomme auf einmal Herzrasen und wahnsinnige Angst. Ist das ein Verrückter?

 

Ich will gerade ausholen um ihm einen Hieb zu verpassen da ergreift er meine Hand und schüttelt sie heftig. ,,Ich bin der Praktikant eurer Schule!", er lächelt immer noch. Mein Herzklopfen wird weniger und ich muss über meine Dummheit lachen. ,,Nett, Sie kennen zu lernen!", antworte ich und lasse seine Hand los.

 

Was ist denn in mich gefahren? Seit wann bin ich denn so ängstlich? Ärgere ich mich über mein Verhalten, während meine anderen Klassenkameraden nach und nach in die Halle kommen und sich auf die Bänke setzen. Für einen Bruchteil einer Sekunde habe ich geglaubt diesen Mann zu kennen, bin ich verrückt? Ich habe ihn noch nie zuvor zu Gesicht bekommen.

 

Während der Mann von unserem Lehrer vor der Klasse vorgestellt wird, höre ich nicht zu. Ich

 

bekomme weder Name noch Grund seines Aufenthaltes mit und wieso unsere Schule plötzlich Praktikanten annimmt. Ich sitze Gedankenversunken da und denke an mein lächerliches Auftreten ihm gegenüber und daran, was Taylor vor der Sportstunde zu mir über Gordon gesagt hat, bis ich plötzlich merke wie mich jemand von der Seite betrachtet.

 

Es ist der Praktikant der mir einen seltsamen Blick zuwirft.

 

Mich durchfährt ein kalter Schauer und ich fange an zu schwitzen. Wieso schaut mich dieser Mann jetzt so komisch an? Ich versuche weg zuschauen. Und dann sehe ich wie Taylor den Praktikanten verstohlen von der Seite mustert.

 

Der Praktikant darf heute aussuchen, was wir heute in Sport machen. Er entscheidet sich zum

 

Anfang ein kleines Spiel zu spielen, bei dem die Balance gefördert wird. Wir müssen über mehrere Bänke laufen, die unterschiedlich breit sind. Die meisten Jungen nörgeln, als der Vorschlag für das Spiel fällt, aber die Mädchen sind alle begeistert; der Praktikant hat es ihnen verdammt an getan. Mir ist es egal, ich habe sowieso Angst bekommen vor diesem Typen. Taylor weicht nicht von meiner Seite und auch bei dem Spiel passt er die ganze Zeit auf mich auf. Er ist zwar mein aller bester Freund, aber so was macht er eigentlich nicht, jedoch spreche ich ihn nicht darauf an. Nach einer Weile finden alle Gefallen an dem Spiel und machen kleine Wettrennen, wer es denn schneller schaffe über die Hindernisse zu balancieren.

 

,,Komm Grace, jetzt musst du es mit mir aufnehmen", Dorian Hellwig stupst mich zur Seite und deutet auf die Bänke vor uns. ,,Kein Ding", kichere ich und gehe in Startposition.

 

,,Und los!", ruft Taylor begeistert und gibt uns ein Zeichen mit der Hand ,,Grace du gewinnst"

 

Wir rennen los, ich halte mich sehr gut auf den Beinen.

 

Ich bin gerade dabei zu gewinnen und habe die Nase vorn, da geschieht alles plötzlich ganz schnell. Erst sehe ich Taylor; er lacht mir zu, ich will ihm etwas zurufen aber mir bleibt plötzlich die Luft weg.

 

Der Boden blitzt auf, ich sehe die ausgelegte Matte auf dem Boden und spüre, dass ich falle. Ich sehe noch Dorians erschrockenes Gesicht. Dann spüre ich einen harten Schlag an meinem

 

Hinterkopf, auf einmal wird alles Schwarz um mich herum. Rufe ertönen aus weiter Ferne, kalte Arme greifen nach mir. Dann falle ich in ein unendliches Loch und merke nicht mehr, was um mich herum geschieht.

 

 

 

Jemand streichelt mir sanft über die Stirn. Mama? Nein, sie ist tot. Genau wie Papa. Meine

 

Pflegemutter? Nein, die Hände sind zu kräftig. Ich möchte die Augen öffnen, finde die nötige Kraft dafür nicht, meine Augenlider sind zu schwer. Wieder gleitet die breite Hand über meinen Kopf, streicht mir Haare aus dem Gesicht. Ich hab ein fürchterliches Dröhnen im Kopf, ist es etwa immer noch der Alkohol?

 

Langsam schaffe ich es meine Augen zu öffnen, sehe jedoch nur verschwommene Gesichtszüge eines Jungen. ,,Taylor...", flüstere ich ,,wo bin ich?"

 

Der Junge drückt meine Hand. ,,Im Krankenzimmer" ,,Wieso bin ich im Krankenzimmer, Taylor?" Der Junge lacht. Ich blinzele ein paar mal und das Bild wird etwas schärfer. Der Kerl, der mich da anlächelt und sein Gesicht so nah an meinem hat, dass ich seinen Atem spüre, ist nicht Taylor. Es ist der Praktikant. Ich zucke ungewollt zusammen und stoße seine Hand von meiner.

 

,,Grace, hab dich nicht so", beschwichtigt er beleidigt. Ich blicke ihn verständnislos an. ,,Woher wissen Sie meinen Namen! Was wollen Sie von mir! Sie sind krank, fass' mich nicht an!", jaule ich.

 

Sein Gesicht nimmt triste Züge an, die braunen Augen blicken tief in die meinigen. Ich kenne diese Augen. Diesmal weiß ich es genau. ,,Erkennst du mich nicht mehr?", fragt er und seine Stimme hat einen bedrückten Unterton. Ich schüttele den Kopf,  ,,Nein woher denn auch?" ,,Na dann...",flüstert er und macht Anstalten zu gehen. ,,N-Nein!", ich richte mich wackelig im Bett auf und halte ihn am Ärmel zurück. ,,Sag mir doch wer du bist"

 

 

 

,,Steve Donahue"

 

 

 

Würde ich nicht bereits im Bett liegen, wäre ich wieder umgekippt. Steve. Steve. Steve. Im ersten Moment finde ich keine passende Verbindung zu diesem Namen. Wer war noch gleich Steve? Steve. Donahue. Und dann leuchtet es mir wieder ein. Mein damaliger aller bester Freund.

 

,,Steve", flüstere ich erschrocken und blicke auf meine Bettdecke. Ich schäme mich, ich habe ihn nicht erkannt. Ich hatte sein Gesicht vergessen.

 

Doch dann höre ich ihn lachen. Er lacht und umarmt mich und drückt mich ganz fest an sich. Er riecht so toll und mir wird ganz warm ums Herz. ,,Steve", flüstere ich erneut, ich kann es nicht fassen. 5 Jahre! 5 Jahre sind seither vergangen! Vor 5 Jahren haben wir uns das letzte mal umarmt.

 

,,Ich bin in deine Stadt gekommen, nur weil ich dich gesucht habe", erklärt er mir während er mich immer noch in den Armen hält. ,, Ich brauchte Geld und habe mich nach einem Jahrespraktikum umgeschaut. Bei euch in der Schule wurde ein Auge zugedrückt und sie haben mich untergebracht. Ich bin so froh, dass ich dir wieder in die Augen blicken kann!"

 

Ich will gerade antworten, da höre ich ein Geräusch hinter dem Vorhang. Ich sehe eine Silhouette die sich gerade vom Vorhang wegbewegt. Hat uns jemand belauscht? Nein, bestimmt spielen meine Augen mir nur wieder einen Streich, weil ich umgekippt bin... ,,Was ist eigentlich passiert? Wieso bin ich im Krankenzimmer?", frage ich nach, da ich es immer noch nicht weiß.

 

,,Du bist ausgerutscht, was ja eigentlich nicht so schlimm wäre, da alles mit Matten ausgelegt war, aber du bist mit dem Kopf auf der Bank aufgeschlagen. Wir hatten schon die Befürchtung, du hättest eine Gehirnerschütterung oder so, aber der Arzt meinte es ist alles okay, du solltest nur eine Weile liegen bleiben.", erzählt Steve mir mit einer besorgten Mine, ,,Wer ist eigentlich dieser düstere Typ? Der hat die ganze Zeit darauf bestanden mitzukommen, aber dein Lehrer hat es verboten. Ist das dein fester Freund?" Ich werfe Steve einen vorwurfsvollen Blick zu. ,,Nein", stelle ich klar ,,Das ist mein bester Freund, oh der macht sich bestimmt unglaubliche Sorgen" Er schüttelt den Kopf: ,,Nein, er weiß bereits Bescheid. Ich muss zurück zur Klasse, willst du noch einen Moment lang liegen bleiben?" Diesmal schüttele ich den Kopf. ,, Nein ich will mit kommen, mirgeht's bereits ganz gut", antworte ich und stehe schnell auf.

 

Steve hat mir bereits den Rücken zugekehrt, da schießt mir das Blut in den Kopf und erneut wird mir Schwarz vor Augen. Ich versuche nach etwas zu greifen, der Boden schwankt, ich greife ins Leere. Steve dreht sich erschrocken um und greift nach mir. Er erwischt mich und hält mich fest. Ich versuche mich weg zudrücken. Er umklammert mich jedoch zu stark und lässt nicht locker. ,,Du solltest doch lieber liegen bleiben", bemerkt er. ,,N-Nein", widerspreche ich ihm und versuche erneut mich weg zudrücken. Er nimmt mich noch fester in den Arm. Mein Herz pocht wie verrückt. Ich spüre wie ich rot werde und schließe die Augen. Seine Hand greift nach meinem Hinterkopf und ich nehme seinen angenehmen Geruch wahr. Er riecht so gut... Mein Herz klopft immer heftiger und heftiger, ich höre es bereits ganz laut schlagen. Doch seines höre ich auch. Es passt zu dem Rhythmus des meinigen. Seine Hand, die meinen Hinterkopf hält, streicht langsam meinen Nacken herunter. Meine glatten Haare bewegen sich unter dieser Bewegung und kitzeln mich an der Schulter. Seine Fingerspitzen fahren meine Ohrläppchen hoch, die Wange entlang, sein Zeigefinger berührt meine Unterlippe. ,,Ich habe dich vermisst", flüstert er, sein Kopf liegt an meiner Schulter. Jetzt blickt er mir tief in die Augen, sein Zeigefinger verharrt immer noch auf meiner Unterlippe. Ich schlucke, bekomme kein Wort heraus. Die Hand die mich an ihm drückt, streicht meinen Rücken entlang. ,, S-Steve, es, es geht schon...", stottere ich, versuchend einen Schritt zurückzugehen. Noch einmal sieht er mir durchdringend in die Augen, lässt mich dann los. ,,Leg dich hin", murmelt er, kehrt mir den Rücken zu und geht.

 

Als er den Vorhang von der anderen Seite wieder zugezogen hat, stehe ich noch immer da, kann nicht fassen was geschehen ist, mein Herz pocht noch immer wie verrückt. Träume ich?

 

 

 

Als ich zur vierten Stunde wieder zur Klasse hereinkomme, heften alle Blicke auf mir. Doch

 

diesmal durchschneiden die Blicke der Mädchen mich messerscharf, als hätte ich soeben etwas Verbotenes getan. Wortlos nehme ich meinen Platz ein, die Blicke folgen mir wie unausweichliche Magneten. In der hinteren Reihe wird getuschelt. Jemand haut gegen meinen Stuhl. Ich reagiere nicht, ich bin sowas bereits gewohnt. Aber ich merke; irgendwas ist anders als sonst. Die Pausenglocke läutet, alle stürmen aus der Klasse. Bis auf vier Mädchen:

 

Scarlett Winington, Amy Morrey, Paris Gorow und ich. Ich warte meistens bis alle draußen sind, um nicht überrannt zu werden. Aber dass Scarlett, Amy und Paris noch da sind, beunruhigt mich, ich lasse mir aber nichts anmerken. Langsam krame ich meine Sachen zusammen. Ich höre wie Absätze klappernd auf mich zukommen, blicke jedoch erst auf, als Scarletts schneidende Stimme mich trifft: ,,Grace Bailey!" Ich schaue auf, sie steht direkt vor mir, wirft mir einen herablassenden Blick zu. ,,Ja?", antworte ich matt.

 

Plötzlich haut sie mit voller Wucht auf meinen Tisch, meine Federmappe fliegt herunter und die Stifte verteilen sich auf dem ganzen Boden. ,,Was zum...!", fluche ich erschrocken und beiße verärgert die Zähne zusammen, als Amy und Paris ebenfalls näher herankommen.

 

,,Was wollt ihr von mir?",gifte ich die Mädels an. Amy lacht, mit ihrer hässlichen quietsche Stimme.

 

Paris grinst und verschränkt die Arme vor der Brust. ,,Halts Maul, wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel ihre Klappe zu halten!", brüllt Scarlett mich plötzlich an. ,,Als ob es dir nicht reicht, dich an Gordon ran zumachen, machst du dich jetzt auch noch an Steve Donahue ran!" ,,Was? Ab-", versuche ich zu widersprechen aber Scarlett verpasst mir einen heftigen Tritt gegen das Schienbein. ,,Klappe!", brüllt sie weiter, ,,Du fühlst dich wohl ober cool, was? Denkst wohl du kannst dir alles erlauben?" ,,Nein ich-", versuche ich erneut aber Amy haut mir mit voller Wucht auf den Hinterkopf, welcher noch immer nach meinem kleinen Unfall schmerzt. ,,Ich sage dir eins", zischt Scarlett zum Abschluss, sie beugt sich ganz nah zu mir herunter und ihr Atem streift über mein Gesicht, ,,Halt dich in Zukunft von Steve fern, sonst wirst du es dein Leben lang bereuen" Mit diesen Worten lassen sie mich zurück, Amy stößt noch einmal kräftig meine Tasche um, sodass sich alle Utensilien auf dem Boden verbreiten. Ich verstehe die Welt nicht mehr.

 

 

 

Am nächsten Morgen werde ich wieder aus meinem tiefen Schlaf gerissen, als mein Wecker wie jeden Morgen laut zu kreischen anfängt. Ich richte mich auf, mein Kopf tut weh. Diesmal liegt es nicht am Alkohol; der harte Aufprall auf der Bank und der anschließende Schlag auf den Hinterkopf haben ihre Nachwirkungen hinterlassen. Wieso habe ich vergessen den Wecker auszuschalten? Ich quäle mich aus dem Bett, meine Pflegemutter schläft noch. Endlich Wochenende, denke ich glücklich und schleiche auf nackten Zehnspitzen in die Küche. Eigentlich könnte ich noch weiter schlafen, aber wenn ich einmal Wach bin, komme ich nur schwer wieder zu Schlaf. Ich schiebe zwei Scheiben in den Toaster, koche Tee auf und setze mich an den Tisch. Gestern war ein seltsamer Tag, durchkommt es mich.

 

Wieso meint Scarlett ich würde mich an Gordon ran machen? Oder an Steve? Woher weiß sie, dass ich und Steve mehr mit einander zu tun haben, als es scheint? Plötzlich durchfährt mich ein schneidender Gedanke; hatte sie hinter dem Vorhang im Krankenzimmer gelauscht? Wieso? Sie hat die anderen ebenfalls auf mich gehetzt, doch aus welchem Grund? Erträgt sie es nicht, dass ich besser bei den Jungen ankomme als sie? Aber ich und Steve sind doch nur alte Freunde! Sie muss es falsch verstanden haben.

 

Ich frühstücke und mache mich fertig, da ich mit Taylor dieser Wochenende verabredet bin.

 

Als ich zur Tür hinausgehe, ist es bereits 12:30 Uhr. Die Sonne scheint herrlich. Ich habe meinen Picknickkorb mitgenommen, wir wollen im Park auf dem großen Hügel zu Mittag essen. Von weitem sehe ich, dass Taylor bereits wartet, er winkt mir vom Hügel aus zu. Lachend beschleunige ich meinen Gang. Doch als ich näher komme, mache ich eine weitere Person aus und mein Lächeln erlischt. Denn die eine Person ist niemand anderes als Gordon. Gordon Matthews.

 

Ich trabe den Hügel hoch und sage erst mal nichts. Taylor blickt mich fragend an. ,,Ist was?", fragt er und sieht mich erwartungsvoll an. Ich merke wie rot ich werde und kann mich nicht mehr zurück halten. Wütend deute ich mit dem Zeigefinger auf Gordon, der mich überrascht anblickt. ,,Was los ist? Der da ist los!", zische ich wütend und an Gordon gerichtet: ,,Was machst du hier?" Taylor und Gordon lachen. Plötzlich fällt mir wieder ein, dass Taylor mich doch gestern noch auf Gordon angesprochen hat. Stecken die beiden etwa unter einer Decke? Ich schlucke schwer. Oh nein, befürchte ich, ich glaube jetzt verstehe ich es. Gordon hat Taylor gefragt, ob er ein Treffen arrangieren kann, bei dem ich komme.

 

Taylor hat bereits die Picknick Decke ausgebreitet und hat es sich mit Gordon bequem gemacht. Ich lasse mich beleidigt neben ihnen nieder. ,,Hab dich nicht so", bittet Gordon und er klingt viel netter als sonst. Ich fasse den Entschluss, mich einmal zusammen zu reißen und den herrlichen Sonnentag zu genießen.

 

Wir fangen an zu Essen und kommen langsam ins Gespräch. Anfangs sind es eher Taylor und

 

Gordon, die über verschiedene Sachen reden und sich lachend in die Seiten knuffen, wenn

 

jemand etwas unanständiges oder blödsinniges gesagt hat.

 

Irgendwann integriere ich mich mit ins Gespräch und es fängt an, mir richtig Spaß zu machen. Wir albern herum, erzählen uns Geschichten und Witze. Die Zeit vergeht wie im Flug und das letzte Sandwich liegt auf dem Teller. Ich möchte gerade danach greifen, da sehe ich aus den

 

Augenwinkeln heraus, dass Gordon das selbe Vorhaben hegt. Wir werfen uns einen

 

herausfordernden Blick zu und blitzschnell greifen wir nach dem Sandwich.

 

Ich erhasche es zu erst. Lachend reiße ich es nach hinten, als Gordon es mir entreißen will. ,,Hey, das ist meins, du Vielfraß!", schimpft er und versucht vergeblich mir das Sandwich aus der Hand zu nehmen.

 

,,Nein", lache ich mit einer sing-sang Stimme und strecke mich weiter nach hinten, als er dem

 

Sandwich gefährlich nahe kommt. Er beugt sich bereits so weit rüber, dass er sich schon mit einer Hand neben meinem linken Oberschenkel abstützen muss.

 

,,Gib her", befiehlt er mir spaßeshalber und kommt noch ein Stückchen näher. ,,Hey ihr zwei passt auf sonst...", höre ich Taylor noch im Hintergrund, der Rest geht aber in Gordons Lachen unter. Plötzlich rutscht Gordon mit seiner Hand ab, auf die er sich soeben noch gestützt hat. Als er plötzlich auf meine Schenkel zu fallen droht, macht mein Herz durch den Schock einen Aussetzer und ich verliere ebenfalls den Halt.

 

Rücklings kugeln wir den Hügel herunter, der auf dieser Seite relativ steil abwärts geht. Wir landen in einer bunten Blumenpracht. Erst bin ich nur erleichtert, weich gelandet zu sein. Aber dann durchfährt es mich heiß und kalt, als ich sehe das Gordon direkt auf mir liegt. Er scheint es im ersten Moment auch nicht zu realisieren und wir starren uns gegenseitig verblüfft an. Sein Gesicht ist so nah an meinem, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre. Meine Nackenhaare stellen sich auf, mich durchfährt ein Schauer. Ich bin wie gelähmt. Gordon macht keinerlei Anstalten aufzustehen. Stattdessen streicht er mir meine zerzausten Haare aus dem Gesicht. Lächelt. Es ist so, als wäre die Zeit stehen geblieben, doch plötzlich ertönt Taylors Stimme von oben: ,,Habt ihr euch wehgetan?" Gordon wirft mir einen letzten ausdruckslosen Blick zu, dann hilft er mir auf die Beine.

 

 

 

Als montags der Wecker klingelt hüpfe ich putzmunter aus dem Bett und freue mich bereits auf den Tag, warum weiß ich selbst nicht so genau.

 

Auf dem Weg zu Schule pfeife ich ein schönes Lied vor mir her, bin bester Laune, doch als ich die Schule erreiche, vergeht meine gute Laune mit einem Schlag. Mein Tisch ist voller Schimpfwörter und Flüche voll gekritzelt, mit Verwünschungen wie: ,,Hau ab du Schlampe" ,,Grace stinkt" ,,Loser" ,,Außenseiter! Du gehörst hier nicht hin" ,,Geh da hin, wo du hergekommen bist!" Als ich von meinem Tisch aufblicke, sehe ich wie alle Mädchen mir mit einem hämisches Grinsen entgegen blicken. Dann wandert mein Blick unwillkürlich zu Scarlett, die mich herablassend anschaut. Amy und Paris lehnen lässig an Scarletts Tisch, auch sie sehen mich schadenfroh an. Ich schlucke schwer und obwohl Tränen in mir aufsteigen setze ich mich und fange an zu lachen.

 

Diesen Spaß gönne ich euch nicht.

 

Na wartet. Ich lache und lache und kriege mich nicht mehr ein.

 

Die Blicke der Mitschülerinnen sind schon längst nicht mehr so selbstsicher wie sie waren, sie

 

schauen einander entgeistert an, fragen sich wieso ich lache. Irgendwann höre ich auf zu lachen mit einem ,,Ja ja.." und fange an meinen Tisch ab zu wischen.

 

Es ist schlimm, in einer fast reinen Mädchenklasse zu sein. Taylor und vier weitere Jungen sind die einzigen Geschöpfe männlichen Geschlechts, die in meiner Klasse sind. Diese sind jedoch bis zum ersten Gong draußen bei den anderen Jungen unserer Klassenstufe.

 

Während ich die Kritzeleien vom Tisch wische, habe ich noch immer ein Lächeln im Gesicht.

 

Dann blicke ich auf und lächele die anderen Mädchen an. ,,Ihr habt ein paar Schreibfehler

 

gemacht", erkläre ich, nach außen hin wirke ich ganz ruhig.

 

In mir brennt jedoch etwas und ich muss mir die Tränen verkneifen.

 

 

 

,,Schlampe wird nicht mit zwei P geschrieben, Amanda." Amanda zuckt zusammen, sie hätte nicht erwartet, dass ich ihre Schrift wieder erkenne. ,,Und Amy, Nutte wird jedoch mit zwei T geschrieben.", wende ich mich nun an Amy. ,,Aber fürs nächste mal wisst ihr

 

dann ja Bescheid" Einen Moment lang überlege ich, ob Nutte wirklich mit zwei T geschrieben wird, sage aber nichts. Was ich erreichen wollte ist immerhin passiert, das Grinsen der Mädels ist erloschen, Scarlett zittert vor Wut. Sie will gerade auf mich zukommen, da geht die Tür auf und unsere Jungen und die Lehrerin betreten den Klassenraum. Ein Glück.

 

Als es zur großen Pause läutet, erwarte ich, dass Scarlett und ihre Schoßhündchen mich

 

zerfetzen. Aber sie stürmen so wie alle anderen aus dem Klassenzimmer.

 

Ich blicke ihnen nach, schrecke zusammen als mir plötzlich jemand seine Hand auf meine Schulter legt. ,,Was ist mit dir los, Grace?", fragt Taylor als er die Hand erschrocken zurückzieht. Ich schüttele den Kopf. ,,Nichts, keine Sorge", erwidere ich und stehe auf, um mich nach Draußen zu begeben. Er folgt mir wortlos.

 

Als wir Draußen ankommen, fällt mir sofort Gordon ins Sichtfeld. Er steht mit anderen Mädchen vor dem Pauseneingang. Unter anderem mit drei aus meiner Klasse: Scarlett, Amy und Paris. Als Scarlett mich sieht, hakt sie sich bei Gordon ein und flüstert ihm was ins Ohr, um mir zu zeigen wie nah sie ihm kommt. Dabei lässt sie mich nicht aus den Augen. Ich schaue einfach weg, es interessiert mich nicht. Auf einmal löst sich Gordon aus Scarletts Griff, die ihn verwundert anstarrt.

 

Er geht direkt auf mich zu aber ich tue so, als würde ich es nicht bemerken.

 

Irgendwann ruft er ,,Grace", nach kurzem Zögern drehe ich mich um, ,,Ach, hallo Gordon!", grüße ich zurück. Taylor grüßt Gordon ebenfalls und dieser erwidert mit erhobener Hand. Ich möchte nicht mit Gordon reden, ich weiß dass die Mädchen mich zerfleischen wollen, aber ich rede trotzdem mit ihm. Sollen sie sich doch Steve holen, denke ich verschmitzt und muss dabei lächeln. Wie arm Scarlett doch ist. Gordon serviert sie ab, aber sie rennt ihm trotzdem noch hinterher. Gordon erzählt irgendwas von einer Verletzung am Knie, die er sich beim Fall vom Hügel zugezogen hat, aber ich höre nicht genau hin. Irgendwann schweift mein Blick nach rechts, Scarlett funkelt mich wütend an. Ich weiß nicht wieso, aber ich lächele ihr freundlich zu. Sie klappt empört den Mund auf, schnappt nach Luft und kehrt mir eingeschnappt den Rücken zu. Das bringt mich wirklich noch mehr zum Lachen. Gordon schaut mich verwundert an. ,,Was ist los?" Ich fahre zusammen und wende mich wieder an ihn ,,Nichts, nichts, hab nur an was Lustiges gedacht" Gordon fängt an zu kichern und schnippt mir auf die Stirn ,,Du bist wirklich ein seltsames Mädchen, Grace", sagt er mit einer sanften Stimme. Ich schlucke. ,,Ach sei leise", ich wische mir die Stirn und strecke ihm dabei die Zunge heraus;  ,,du bist selber seltsam!"

 

Er sagt etwas, aber es geht im Gong unter, ich muss zurück zur Klasse, halte mich dabei aber

 

dicht bei Taylor. Vor Taylor haben viele Angst, da er so düster aussieht. Das gibt mir Sicherheit. Wir gehen gemeinsam in die Klasse und ich sehe, wie alle mir einen schiefen Blick zuwerfen. Aber niemand sagt etwas. Nicht einmal Paris oder Amy. Und nicht einmal Scarlett Winington. In der vierten Stunde haben wir Sport. Ich freue mich riesig; eigentlich mag ich Sport nicht so gerne, aber ich hoffe Steve wieder zu sehen. Und wirklich; er scheint unserer Klasse zugeteilt worden zu sein. Als ich wieder als erste in die Halle komme, lacht er und kommt zügig auf mich zu. Zu meiner Überraschung umarmt er mich glücklich und sieht mich lächelnd an; ,,Geht's dir wieder gut?" Ich nicke und erzähle ihm, dass ich nur ab und zu leichte Kopfschmerzen habe. Ich bemerke nicht, dass seine Hände noch immer auf meinen Hüften liegen, während wir uns nett unterhalten und immer mehr Schüler die Halle betreten.

 

Irgendwann blickt Steve auf und ruft der Klasse zu: ,,Setzt euch in einen Kreis, wir fangen sofort an!" Dann richtet er seine Augen wieder auf mich, ,,Ich möchte nachher mit dir reden Grace. Ich hoffe du hast gleich nach der Schule noch nichts vor.", raunt er mir zu. ,,Nein, eigentlich nicht.", antworte ich unsicher.

 

,,Gut. Ich warte dann auf dich." Seine Hände lösen sich von meinen Hüften und ich setze mich zu den anderen. Ich habe wieder Herzklopfen bekommen.

 

Nach der Schule warte ich wie Verabredet vor dem Eingang. Doch nach 10 Minuten ist Steve noch immer nicht da. Ich blicke besorgt zum Himmel, es scheint bald zu regnen. Der Himmel ist grau und wolkenbedeckt. Ich setze mich auf eine Stufe der Treppe, die zum Hauteingang führt und warte. Es vergehen weitere 10 Minuten. Ich schaue traurig auf die Uhr. Wenn er nicht bald kommt, müssen wir durch den Regen gehen. Doch auch nach weiteren 10 Minuten ist nichts von ihm zu sehen. Ich stehe auf und werfe meine Schultasche über die Schulter. Dann eben nicht. Ich will gerade losgehen, da höre ich Schritte auf mich zukommen. Es ist.. ja es ist Steve! ,,Endlich!", rufe ich ihm zu und ziehe einen Schmollmund. ,,Ich warte schon seit einer halben Stunde!" Er nimmt mich in den Arm. ,,Es tut mir Leid! Ich musste noch etwas erledigen!" ,,Ja, ist okay, lass uns beeilen, es wird gleich regnen...",lenke ich ein und drücke mich von ihm. Doch schon fallen die ersten Tropfen vom Himmel, kommen am Boden auf, zerplatzen auf dem harten Asphalt. Einen Regenschirm hat keiner von uns dabei.

 

,,Ich hasse Regen"; jammere ich und gucke Steve traurig an. ,,Heul' nicht!" ,lacht er und knufft mir in die Seite; ,,Oder bist du aus Zucker?" ,,Ich will nicht, dass meine Schminke verschmiert", kläre ich ihn auf, immer noch mit einer jammernden Stimme. ,,Tussi", witzelt Steve und grinst. Wir gehen langsam einen schmalen Waldweg entlang. De Regen prasselt auf uns herab, meine Klamotten sind total durchgeweicht. Ich sehe dass mein BH zu erkennen ist, aber ich denke mir nichts dabei, hoffe aber, dass Steve es nicht sieht. Wir gehen weiter, schweigend. Irgendwann bricht Steve das Schweigen.

 

,,Wie ist es so hier, in dieser Stadt?" ,,Ganz okay...", antworte ich leise. Ich spüre, dass ihm etwas auf der Zunge liegt. ,,Verstehst du dich mit deiner Klasse?", fragt er weiter. ,,Nicht mit den Mädchen", ich lächele ihm gezwungener Maßen entgegen.

 

Mittlerweile hat es heftig zu Regnen angefangen, in Strömen ergießt sich das Wasser über uns. ,,Ich war damals sehr traurig, als du weggezogen bist, Grace", er schaut mich nicht an, als er das plötzlich sagt. Sein Blick schweift ausdruckslos in die Ferne. ,,Ich habe jeden Tag an dich gedacht. Es verging kein Tag, an dem ich nicht bei allem Tun und Geschehen mit den Gedanken bei dir war." Es folgt eine kurze Pause, wahrscheinlich erwartet er eine Antwort. Ich sage nichts, ich weiß nicht was ich erwidern soll.

 

,,Weißt du," er blickt mich immer noch nicht an, es ist als rede er mit dem Regen, der so dicht ist, dass er wie eine dicke Nebelwolke aussieht. Regen tropft von seinem Haar, von seiner

 

Nasenspitze. ,,Ich habe viele Mädchen kennen gelernt. Ich habe mit vielen geschlafen. Ich habe vielen gesagt, dass ich sie liebe. Aber jedes Mal habe ich gemerkt, dass ich nur versucht habe dich darin zu sehen." Ich schüttele den Kopf. ,,Steve. Du warst fünfzehn als ich weggezogen bin." Er bleibt stehen und sieht mich nun finster an. ,,Und?" fragt er auf einmal gereizt. Seine Stimme ist schneidend scharf. Ich schlucke und bleibe ebenfalls stehen. ,,Denkst du ich wusste nicht, was es bedeutet jemanden zu lieben? Denkst du ich war mit fünfzehn nicht alt genug?" Ich schlucke erneut, habe Angst etwas Falsches zu sagen.

 

,,Erst als du weg warst habe ich gemerkt was ich für dich empfand," Und nach einer kleinen Pause setzt er hinzu ,,Und empfinde." Ich spüre, wie sich meine Kehle zuschnürt. Ich bekomme keinen Ton raus. Meine Augen brennen. ,,Steve...", wie soll ich ihm sagen, dass ich ihn fast vergessen habe? Ich habe nach den ersten Monaten jeden Tag an ihn gedacht, aber die Erinnerungen verschwammen von Tag zu Tag mehr; zurück blieben bröckelige unbrauchbare Erinnerungen an mein Früheres zu Hause, mein Früheres Leben. Mein Leben, das noch in Ordnung war. Plötzlich tauchen längst vergessene und verdrängte Szenen aus meiner Vergangenheit wieder auf; der Polizist, wie er mir sagt, dass meine Eltern ums Leben gekommen sind, bei einem schrecklichen Autounfall. Wie ich an eine neue Familie gegeben wurde; wie ein Gegenstand wurde ich verkauft, Ich sehe wie ich jeden Tag zuvor mit Steve verbracht habe, seit meinem siebten Lebensjahr. Er war zwei Jahre älter; ich habe in ihm einen großen Bruder gesehen.

 

Dann kam der plötzliche Abschied. Ich musste in einer fremden Stadt... ein neues Leben beginnen. Alle diese Erinnerungen durchfahren mich in einem Bruchteil einer Sekunde und ich atme tief ein. Steve sieht mich resigniert an, als habe er eine bestimmte Antwort erwartet.

 

,,Ich... Ich hatte dich vergessen Steve.", ich kneife die Augen zusammen, es kommt mir vor als würde ich schreien. Steves erschrockener Blick zeigt, dass er diese Antwort wirklich nicht erwartet hat. ,,Es tut mir so Leid, du hast mir viel bedeutet Steve. Aber ich habe mich so sehr darauf konzentriert ein neues Leben zu beginnen, dass ich alle Erinnerungen an damals so sehr verdrängt habe, bis ich sie vergessen habe!", die Worte sprudeln aus mir heraus, unaufhörlich, wie der Regen.

 

,,Grace-", setzt Steve an, aber ich schneide ihm das Wort ab. ,,Es tut mir so verdammt Leid! Bitte verzeih mir! Ich habe mein Versprechen von damals nicht gehalten. Ich habe dich

 

vergessen!", meine Tränen kullern mir von den Wangen, ich kann sie nicht zurück halten. Die

 

Erinnerungen an Damals tun so schrecklich weh. Steve versucht mich in seine Arme zu schließen, ich haue ihm verzweifelt mit der Faust gegen die Brust. ,,Grace, beruhig' dich bitte..", redet er auf mich ein, ich hole erneut mit der Faust aus, aber er hält sie am Gelenk zurück. ,,Es ist okay", flüstert er. Ich blicke erschrocken auf, Tränen sitzen in meinen Augenwinkeln. ,,Was?", frage ich verwundert. Er lächelt mir warm zu, seine braunen Augen blitzen auf. ,,Es ist okay. Es hat niemand von dir verlangt, dass du dich mit der Vergangenheit rumschlagen musst. Ich bin doch hier. Ich bin doch wieder bei dir, ich bin für dich da, Grace..." Diese Worte tun so gut. Ich senke den Blick und atme erneut tief ein. ,,Entschuldige..", flüstere ich. Er lehnt seinen Kopf an meinen, blickt mir in die

 

Augen. ,,Nein, mir tut es Leid. Ich habe vergessen, was du durchgemacht hast, Kleine",

 

widerspricht er mir und lächelt wieder. Eine Weile stehen wir so da, noch immer regnet es unaufhörlich. Ich spüre wie das Wasser mir in den Nacken läuft und ich bekomme eine Gänsehaut. Der Waldboden weicht langsam ein und wird matschig. Es rauscht überall um uns herum, von den Bäumen, von den Tropfen die am Boden aufschlagen.

 

Steve beugt sich zu mir herüber, versucht mir in die Augen zu schauen doch ich blicke zu Boden. Er legt seine Arme auf meine Schultern und beugt sich noch weiter herunter. Mein Herz fängt kräftig an zu klopfen und ich habe wahnsinnige Schmetterlinge im Bauch. Mir wird auf einmal total warm, was ist los mit mir? Als ich langsam aufblicke, ist sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Wieder steigt mir sein Geruch in die Nase, ich will näher zu ihm. So nah wie es geht. Er beugt sich herunter und seine weichen Lippen berühren die meine. Er schmeckt so gut...

 

Die Lippen verlassen meine und er sieht mich mit einem leicht herausfordernden Blick an.

 

Ich weiß nicht was ich tun soll, starre ihm nur entgegen, unfähig auch nur einen Muskel zu rühren. Wieder beugt er sich herunter, und der nächste Kuss folgt. Immer wieder setzt er seinen Mund auf meinen, immer wieder folgt ein Kuss nach dem anderen. Meine Hände wandern zu seinem Nacken, ich drücke ihn fest an mich. Seine Hände greifen nach meinem Nacken und meinem Rücken, wie vor einigen Tagen im Krankenzimmer. Der Regen hat noch immer nicht aufgehört, wir beide sind total durchnässt, aber wir kümmern uns nicht darum. Unsere Zungen fangen an, miteinander zu spielen, versuchen gegenseitig die Führung zu übernehmen. Mein Kopf ist total leer. Seine große starke Hand in meinem Nacken streift sanft an meiner Schulter entlang. Der nächste Kuss landet unterhalb meiner Unterlippe, wandert meinem Hals hinunter. Ich ziehe den Kopf hoch, am Hals fühlen sich seine Lippen so kalt an. Er zieht meinen Topträger die rechte Schulter hinunter und küsst meine Schulter. Wieder drückt er mich fest an sich, meine rechte Hand greift nach seinem braunen Haar. Ich greife mit der linken Hand unter sein Kinn und ziehe ihn hoch, tue ihm nach, küsse seinen Hals. Meine Hände wandern unter sein T-Shirt, befühlen seinen harten Bauch. Steves Hand an meinem Rücken, die mich an ihn drückt, wandert unter mein klitschnasses Top und streichelt meinen Rücken.

 

Unsere Lippen finden wieder zu einander. Steve berührt mich so zärtlich, als könnte ich jeden Moment zerbrechen. Ich fühle mich, als würde ich auf Wolken schweben. Ich wünschte, dieses Gefühl würde bis in die Ewigkeit halten, nie wieder aufhören.

 

Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis Steve und ich uns einfach umarmen, ich atme schwer; kann nicht glauben was soeben passiert ist. Steve sagt auch nichts, klammert sich nur fest an mich. ,,Steve...", flüstere ich leise, ,,Ich muss nach Hause". Steve nickt wortlos und nimmt meine Hand, ,,Ich begleite dich, Prinzessin.", sagt er und lächelt. Ich lächele ebenfalls. ,,Danke", sage ich. ,,Es ist doch selbstverständlich", winkt er ab. Aber ich schüttele leicht den Kopf. Nein ist es nicht. Es ist nicht selbstverständlich, dass du nach fünf Jahren die Stadt aufsuchst in der ich wohne, nur um mich zu finden. Es ist nicht selbstverständlich, dass du für mich da bist, obwohl ich dich nicht erkannt habe, dich vergessen habe. Es ist nicht selbstverständlich, dass du wieder für mich da bist. Danke, danke, dass du für mich da bist. Danke, dass es dich gibt, denke ich und bemerke, dass es aufgehört hat zu regnen. Aber seit wann?

 

 

 

,,Wo warst du? Du bist eine Stunde zu spät!", meine Pflegemutter holt besorgt ein Handtuch und rubbelt mich trocken, ,,Du bist ja ganz nass!" Ich schiebe sie von mir. ,,Lass gut sein", versuche ich sie ab zu wimmeln, aber sie fängt weiter an, an mir rumzurubbeln. Als sie meinen Hals abtrocknen will, hält sie inne. ,,Das ist ja ein Knutschfleck!", hapst sie erschrocken nach Luft. Erschrocken schnelle ich einen Schritt zurück. ,,Ein.. Ein.. Was?", stottere ich ungläubig. ,,Ein Knutschfleck!", es klingt schon wieder so erstaunt wie davor. Dann fängt sie an ein unglaublich fröhliches Gesicht zu ziehen ,,Oh Grace! Wer ist es? Ich will alles wissen!" Ich schüttele den Kopf: ,,Nein du musst dich irren! Das kann nicht sein", ich renne ins Bad und haue die Tür hinter mir zu. Ich renne zum Spiegel und traue mich fast nicht mehr hinein zu sehen. Tatsache. Ein Knutschfleck. Und nicht zu sachte. Er ist groß und rot und ist schön auffällig am Hals. Ich stütze mich am Waschbecken ab und starre den Wasserhahn an. Oh nein, was wird Scarlett anstellen wenn sie das sieht? Je mehr

 

ich darüber nachdenke, was sie mir alles so antun wird, sackt mein Kopf immer weiter hinunter. Meine Pflegemutter klopft an die Tür. ,,Schätzchen?", ihre dumpfe Stimme schalt durch die Tür, sie klingt sehr besorgt, ,,Ist alles in Ordnung? Ein Knutschfleck ist doch nichts schlimmes... Sieh mal du bist doch schon achtzehn..." Ich öffne die Tür leise und blicke ihr lächelnd entgegen. ,,Keine Sorge Jillian, es ist alles in Ordnung, musste nur dringend mal." Sie weiß, dass es nicht stimmt aber sie verschränkt nur die Arme vor der Brust und erwidert mein Lächeln. ,,Komm in die Küche Liebes, ich möchte alles über ihn erfahren"

 

Eines muss man ihr lassen, sie ist zwar nicht meine richtige Mutter, aber sie behandelt mich wie ihr eigenes Kind. Sie ist immer sehr fürsorglich und zuvor kommend. Sie kleidet sich modern, aber nicht übertrieben und durch ihre liebe Art, mit jemanden zu reden oder ihn einfach nur nett an zu lächeln, schließt man sie sofort ins Herz. Sie ist super, auch wenn sie meine echte Mutter nicht ersetzen kann, bemüht sie sich trotzdem sehr, dass es mir gut bei ihnen geht. Und ich fühle mich wirklich sehr wohl bei ihr und meinem genauso liebevollem Pflegevater, den ich leider nicht so oft sehe. Er ist ein viel beschäftigter Geschäftsmann und ist viel unterwegs. Er ist der netteste und treuste Mann, den eine Frau haben kann und sein Humor ist einfach umwerfend. Weder er noch Jillian verlangen von mir, dass ich sie Mama oder Papa nenne. Nachdem ich meiner Pflegemutter alles erzählt habe, alles über Steve (Scarlett erwähnte ich nicht, ich wollte nicht, dass sie sich unnötige Sorgen macht) holt sie erst mal tief Luft. Nun sieht sie mich schweigend an und ein Lächeln ist wieder auf ihren Lippen zu erkennen. ,,Das freut mich, dass er es dir nicht verübelt" Sie tätschelt meine Hand, ,,Ich freue mich so für dich!" Ich lache und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. ,,Was meinst du, Kleines, lade ihn doch mal zum Abendessen ein!" Ich falle ihr um den Hals: ,,Au ja, das wäre so toll! Du musst ihn kennen lernen er ist super!"

 

 

 

Jillian erwidert meine Geste und streicht mir Haare aus dem Gesicht. ,,Ich koche dann was schönes für uns alle, Eugen wird sich bestimmt auch freuen deinen neuen Freund kennen zu lernen" Sie zwinkert mir zu und schubst mich leicht nach vorne ,,Jetzt geh und zieh dir was trockenes an, es gibt gleich Abendessen" Der nächste Morgen ist genauso grau wie der Abend zuvor. Als ich die Schule erreiche mache ich mich erst mal auf den Weg zu Taylor. Ich möchte in seine Nähe, ich will nicht von den andren Mädchen mit dem Knutschfleck gesehen werden. Zu Hause habe ich vergebens versucht das rote Monster zu überschminken, aber nichts half. Leise schleiche ich durch die Flure, halte immer Ausschau nach den Mädchen. Ich stehe gerade neben meinem Spint und luke um die Ecke, um zu sehen ob die Luft rein ist, da packt mich etwas von hinten an die Schulter. Ich lasse ungewollt einen Schrei los und drehe mich blitzschnell um und ­ sehe in das Gesicht von Gordon Matthews. ,,Was ist denn mit dir los?", lacht er und knufft mir in die Seite. ,,Was? Mit mir?", frage ich völlig überrumpelt. ,,Nein mit dem Zelt hinter dir", kichert Gordon ironisch und ohne es zu verstehen

 

drehe ich mich um. Das bringt Gordon so sehr zum Lachen, dass ihm die Tränen kommen. Erst verstehe ich nicht, aber als mein Gehirn wieder anfängt zu arbeiten, merke ich, wie sehr ich mich gerade blamiert habe. Ich schlage die Hände vors Gesicht und quietsche lachend. Gordon sieht mich erstaunt an und bekommt einen Lachkrampf. ,,Du.. Du quietscht ja!", prustet er los. Auch ich kann mich nicht mehr halten, wir lachen und bekommen solche Bauchschmerzen, dass wir keine Luft mehr bekommen.

 

Doch plötzlich vergeht mir das Lachen, als ich das Klappern von Absätzen vernehme; Scarlett

 

Winington kommt in einem wahnsinns Tempo auf mich zu geschossen und bleibt total aufgebracht vor mir stehen. Ohne dass ich es vorher schalte, backpfeift sie mich und funkelt mich wütend an. Erschrocken halte ich mir die brennende Wange mit der Hand und starre sie verwundert an. Gordon schubst Scarlett unsanft zur Seite, ,,Sag mal bist du behindert?", schreit er sie an. ,,Bist du irre?". Scarlett schüttelt ihre blonden glatten Haare und lacht ihm höhnisch zu: ,,Ich bin irre? Na wenigstens bin ich nicht so ein Flittchen wie diese Tussi!", giftet sie mich an und zeigt mit dem Finger auf mich. ,,Was meinst du?", Gordon schreit sie wütend an. Scarlett schlägt meine Hand von der Wange und macht meinen Knutschfleck sichtbar, ,,Die treibt es doch mit jedem!" Gordon starrt meinen Knutschfleck erschrocken an. Er sagt nichts. Ich sehe Scarlett ungläubig an. Es dauert eine Weile bis ich mich wieder fasse. ,,Was geht es dich eigentlich an, was ich mit wem treibe?", fahre ich sie an und spüre wie die ganze Wut in mir aufsteigt. Was fällt ihr ein? Für wen hält sie sich eigentlich? Blind vor Wut stürze ich sie zu Boden, ,,Denkst du, ich lasse alles mit mir machen?"

 

Ohne es zu merken, habe ich angefangen sie zu würgen. Gordon reißt mich auf die Beine: ,,Hey halt dich zurück, Grace!", ruft er panisch. Hysterisch springt Scarlett auf die Beine:

 

,,Du spinnst! Sieh es ein! Mannsweib! Und ein Flittchen bist du auch noch!", schreit sie und stapft wütend davon. Gordon sieht zu Boden. ,,Ich bin enttäuscht von dir Grace", mit diesen Worten geht auch er. Zurück bleibe ich, mit meinem Knutschfleck. Und ich frage mich, kann es noch schlimmer werden? Und zu diesem Zeitpunkt ahne ich nicht auch nur annähernd, dass die Frage mit Ja zu beantworten ist.. Taylor ist anscheinend krank, er erscheint am Anfang des Tages nicht in der Schule. Und tatsächlich, in der zweiten Stunde erhalte ich eine SMS: ,,Hab einen Arzttermin. Komme etwas später zur Schule."

 

Ich seufze, ich gebe es nicht gerne zu, aber ich fürchte mich vor der großen Pause. Wie lange

 

dauert die Stunde noch? Ich schaue auf die Uhr. Noch zehn Minuten, und die Zeit läuft

 

unbarmherzig weiter. Ich schlucke. Mein Blick wandert nach rechts, Scarlett schiebt Amy einen Zettel rüber. Amy überfliegt das Geschriebene und lächelt Scarlett zu. Worüber amüsieren sich die beiden? Frage ich mich, aber dann wird mir bewusst, dass ich es eigentlich gar nicht wissen will. Wieder schaue ich auf die verfluchte Uhr. Noch genau acht Minuten. Ich atme tief ein, hebe den Arm.

 

Meine Lehrerin sieht mich und nimmt mich dran: ,,Miss Bailey?"

 

,,Dürfte ich auf die Toilette?", ich ziehe ein hilfloses Gesicht.

 

Die Lehrerin schüttelt den Kopf: ,,Aber es sind doch nur noch sieben Minuten bis zur Pause" ,,Bitte, ich muss ganz dringend!", ich rutsche auf meinem Stuhl unruhig hin und her. Sie seufzt: ,,Ja, okay, aber bitte notier' dir noch eben die Hausaufgaben." Ich kritzele Seite und Aufgabe in mein Hausaufgabenheft und stürme aus dem Klassenraum. Als ich die Toilette erreiche schellt es gerade zur Pause. Ich besetze die hinterste Kabine und schließe ab. Ich klappe den Klosettdeckel zu, setze mich drauf und warte. Es verstreichen wenige

 

Minuten, da höre ich drei Mädchenstimmen. Wie nicht anders zu erwarten ist, sind es Amy, Paris und natürlich Scarlett. ,,Miss Bailey!", kräht Amy. Ich reagiere nicht. ,,Wir wissen, dass du hier bist du Schnepfe.", zischt Scarlett und ich höre wie sie nun genau vor meiner Kabine steht. ,,Mach auf", raunt sie. Ich rühre mich nicht von der Stelle. Ich denke gar nicht daran, das zu tun was sie mir befiehlt.

 

Plötzlich erscheint über der Kabine eine Haarspraydose. Amy und Paris lachen. Sie fangen an,

 

Haarspray in die Kabine zu sprühen. Anfangs halte ich sie für bekloppt, aber nach wenigen

 

Minuten wird die Luft immer unerträglicher. Ich hoffe der Gestank verzieht sich bald über der

 

Kabine und verteilt sich in der ganzen Toilette, aber nachdem zwei Haarspraydosen komplett

 

entleert sind, will ich am liebsten nur noch kotzen. Nicht nur, dass ich den Geruch kein wenig

 

gewohnt bin, das Zeug brennt irgendwann tierisch in den Augen und ich spüre wie meine Augen anfangen zu jucken. Doch ich gebe keinen Laut von mir, nicht einmal, als ich das heftige Bedürfnis verspüre husten zu müssen. Ich ertrage das kratzen im Hals, bloß keine Schwäche zeigen. Endlich ertönt der Gong, die Pause ist vorbei. Ich möchte warten, bis Scarlett und ihre Hündchen abgehauen sind, aber diese denken nicht daran. Sie warten bis ich endlich das Schloss umdrehe und raus komme. Ich zögere. Aber ich weiß, sie werden so lange warten bis ich die Tür öffne. Und wenn es Jahre dauern würde. Ich ziehe das Schloss zurück und finde wie erwartet die drei Mädchen vor meiner Kabine. Grade habe ich die Tür geöffnet, verpasst mir Scarlett einen kräftigen Tritt in den Magen. Ich falle zurück und schlage mit dem Kopf auf dem Toilettenpapier-Ständer auf. Ein höllischer Schmerz durchfährt mich beim Aufprall und ich befürchte im ersten Moment wieder ohnmächtig zu werden. Ich bin bei Bewusstsein, merke aber dass ich irgendwo am Kopf blute. Es ist ein unglaublich stechender Schmerz. Ich blicke auf, die drei stehen immer noch da, blicken auf mir herunter.

 

,,Lasst uns gehen. Wir wollen doch keinen Unterricht verpassen", grinst Scarlett und

 

mit einem Handwinken sind sie verschwunden. Ich fasse mir langsam an den Hinterkopf und betrachte dann meine Hand. Sie ist voller Blut, ein Wunder dass ich bei diesem Anblick nicht das Bewusstsein verliere. Ich erhebe mich langsam, mein Kopf dröhnt, hämmert. Es sticht unglaublich. Ich gehe einige Schritte vorwärts, kämpfe gegen die Tränen an. Doch als ich nach etlichen Minuten das Waschbecken erreicht habe, kann ich es nicht mehr zurück halten. Ich fange an zu weinen, wie ein kleines Kind. Ich weine und weine und der Schmerz wird immer schlimmer. Ich fasse mir wieder an den Hinterkopf, er wird langsam nass.

 

Wie stark mag die Blutung sein? Schaffe ich es bis ins Krankenzimmer? Ich habe das Gefühl

 

verrückt zu werden, glaube dem Tod nahe zu stehen. Doch irgendwie schaffe ich es, die Toilette zu verlassen und mich erschöpft im Flur niederzusetzen, gegenüber von meinem Klassenraum, was jedoch keine Absicht ist. Der Schmerz betäubt meine ganzen Sinne, ich höre und rieche nichts mehr. Habe nur noch Blutgeschmack im Mund, mein Blick verschwimmt. Ich höre Schritte. Ich kenne diese Person. Sie ruft etwas. Was? Ich höre meinen Namen. Ich spüre wie mich jemand rüttelt. Lass mich in ruhe. Ich will in Ruhe sterben. Ich versuche die Person abzuschütteln, aber sie lässt mich einfach nicht los. Ich versuche sie an zu schreien: Lass mich in Ruhe! Aber meine Stimme ist weg. Ich kann nicht mal ein Zischen von mir geben. Ich werde hoch gehoben? Mich durchfährt wieder dieser unglaubliche Schmerz. Dann falle ich. Wieder in dieses Loch. Wieso lasst ihr mich nicht alle einfach in ruhe?

 

Ich wache auf und weiß sofort: Ich bin nicht zu Hause. Es riecht nach Krankenhaus. Das

 

Krankenzimmer? Nein. Ich öffne die Augen. Tatsächlich: ich liege in einem Krankenhauszimmer.

 

Jemand sitzt an meinem Bett. ,,Endlich wach?", die Person, die mich nicht in Ruhe gelassen hat...Es ist Taylor! ,,Taylor? Was ist denn diesmal los?", frage ich verwirrt. Er lächelt. ,,Bleib bloß liegen!", drückt mich sanft zurück ins Bett und deckt mich zu. ,,Ich bin mitten in der dritten Stunde zum Klassenraum gegangen und hab dich plötzlich vor dem Klassenraum liegen sehen. Voller Blut und total abwesend hast du vor dich hingestarrt." Ich erinnere mich wieder und fasse mir an den Kopf, ein Verband bedeckt meine Haare. Ich spüre wie meine Kopfhaut darunter juckt, aber ich versuche es zu ignorieren. ,,Du hast dich ganz schön gewehrt, du Monster", lacht Taylor und streicht mir über

 

die Wage, ,,Was ist passiert? Wie hast du dir das zu gezogen? Kaum bin ich einmal nicht da, um auf dich aufzupassen, nimmst du dir schon fast das Leben!" Er lächelt. Ich schüttele den Kopf: ,,Ich erkläre es dir nachher okay, Taylor. Ich will gerade nicht darüber reden." Er nickt und klopft mir ermunternd auf die Wange. ,,Ist es was ernstes?", frage ich. Er schüttelt den Kopf: ,,Du bist ein echtes Glücksschwein! Die Wunde ist ziemlich oberflächlich und es hat dich an einer eher ungefährlichen Stelle erwischt. Du musst aber die nächsten Tage mit Verband rumlaufen, so Leid es mir tut" Ich nicke. Ich hab also wirklich Glück gehabt, auch wenn es immer meinen Kopf trifft. Manchmal lohnt es sich halt doch ein Dickkopf zu sein. ,,Danke Taylor. Du bist der beste Freund, den es gibt" Er beugt sich über mich: ,,Das weiß ich doch", scherzt er und tippt mir auf die Nase. ,,Mach dir keinen Kopf, jetzt bin ich ja da und passe auf dich auf."

 

 

 

Die nächsten Wochen vergehen, ohne dass etwas besonderes passiert. Ich habe Taylor alles erzählt und seit dem weicht er nicht mehr von meiner Seite. Gordon redet nicht mehr mit mir. Steve sehe ich nur, wenn wir Sport haben, da er sonst sehr viel anderes zu tun hat. Langsam schlendere ich den Schulhof entlang, Taylor neben mir. Heute haben wir uns nicht viel zu erzählen. Ich schaue in den Himmel, dieser blickt mir grau entgegen. Die Wolken hängen dicht und tief in der feuchten Luft, vereinzelt werden sie durch dünne Sonnenstrahlen zerrissen. ,,Da ist Steve", bemerkt Taylor auf einmal und ich wende meinen Blick an ihn. Er deutet nach rechts und tatsächlich erblicken meine Augen Steve. Er schließt die Sporthalle zu und redet mit meinem Deutschlehrer. Taylor und ich bleiben stehen und beobachten die beiden. Sie scheinen sich über etwas zu amüsieren und Steve gebraucht seine Arme um irgendwas zu verdeutlichen. Daraufhin schüttelt mein Lehrer den Kopf und lächelt. Als er endlich geht, entdeckt Steve mich und Taylor endlich. Ich werde etwas unsicher, seit dem Vorfall im Regen haben wir kaum ein Wort gewechselt. Wie stehen wir zu einander? Sind wir ein Paar? Sind wir nur Freunde? Oder weniger als das? Mein Herz fängt an schneller zu schlagen und ich atme kurz tief ein, als Steve langsam auf uns zu kommt.

 

,,Na ihr beiden", begrüßt er uns freundlich. Ich grinse nur, weiß nicht was ich sagen soll. Taylor und Steve fangen an über das gestrige Fußballspiel zu reden, da fällt mir wieder etwas ein. Wollte ich Steve nicht schon vor längerer Zeit mal zum Essen einladen? Bei dem Gedanken wird mir auf einmal ganz wohlig ums Herz. Ja, wenn er kommt, dann würde sich auch die Beziehung zwischen uns endlich verdeutlichen. Wo stehe ich in seinem Leben? Wie stellt er sich das alles in Zukunft vor? Alles können wir dann klären. Alles!

 

Aber ich frage ihn noch nicht, das hebe ich mir lieber für einen besseren Zeitpunkt auf, beschließe ich und folge Taylor in den Klassenraum, als es zur nächsten Stunde schellt.

 

 

 

Diese Nacht träume ich sehr schlecht.

 

Ich sehe mich, wie ich nachts die Tür öffne. Dort steht er, breit gebaut in seiner Uniform. Sind Sie Miss Bailey? Grace Bailey?, fragt er mich, seine Stimme bebt, donnert mir entgegen. Ich schaue verängstigt hoch und es durchfährt mich heiß und kalt, als er seinen Hut zieht. Er nimmt ihn in beide Hände. Hält sie vor der Brust und sagt du musst jetzt sehr stark sein. Ich will schreien. Ich will weinen. Aber ich sage nichts. Ich stehe da, unfähig etwas zu tun.

 

Mein Blick ist kalt. Er ist ausdruckslos zugleich. Ich sehe wie dem Polizisten der Regen von der Nasenspitze tropft. Sind sie tot? Frage ich ihn. Erst nickt er, dann schüttelt er den Kopf. Sagen Sie mir die Wahrheit, brülle ich ihn an. Er nickt. Dein Vater war sofort tot. Deine Mutter ist noch am kämpfen, aber es scheint bereits entschieden. Ich starre immer noch auf seinen Hut. Achso, antworte ich. Was wird aus mir? Er schüttelt den Kopf. Das wissen wir nicht. Du hast keine Verwandten in der Nähe. Aber du bist doch schon 13 Jahre Grace.

 

Du bist doch ein starkes Mädchen. Dann verliere ich das Gleichgewicht, falle zu Boden.

 

Ich schreie. Wo sind meine Eltern? Ich will sie sehen! Nein Grace du kannst sie nicht sehen. Doch ich will! Ich will zu ihnen! Nein es geht nicht! Es geht einfach nicht....

 

Wie konnte das passieren? Rufe ich. Der Mann nimmt mich in den Arm.

 

Ich schlage um mich. Ein Lkw hatte sie übersehen. Verflucht! Rufe ich.. Verdammt! Der Fahrer sollte sterben! Ich schreie und schreie und es regnet immer heftiger.. Es ist so leer!

 

 

 

Ich wache durch meinen eigenen Schrei auf. Mein Blick wandert zum Fenster, der Regen schlägt gegen die Scheibe, in weiter Ferne grollt ein Donner. Ich atme schwer. Warum habe ich das

 

geträumt? Was soll das? Ich wische mir die Tränen vom Gesicht. Mama... Papa!

 

 

 

Als ich morgens aufstehe regnet es noch immer. ,,Was für ein Wetter", seufzt Jillian und zieht ein besorgtes Gesicht, ,,Pass auf, dass du dir keinen Schnupfen zu ziehst." Ich nicke nur. Der Traum lässt mich einfach nicht los. Warum träume ich auf einmal von dem Tod meiner Eltern? Es ist doch schon fünf Jahre her! Wortlos trinke ich meinen Kakao zu ende und verlasse das Haus. Ich habe ein ganz seltsames Gefühl im Bauch. Ich fange an zu zittern, was ist los mit mir? Wir haben in der zweiten Stunde Sport. Aber von Steve ist weit und breit nichts zu sehen. Betreten schaue ich zu Boden; die Einladung wird wohl warten müssen. ,,Er ist wahrscheinlich krank", meint Taylor und legt mir seine Hand auf die Schulter, ,,Bei dem Wetter ist es ganz leicht, sich etwas einzufangen" Ich nicke, ,,Ja du hast wahrscheinlich Recht". In der Pause sehe ich, wie Gordon auf einer Bank sitzt; Scarlett auf ihm drauf. Er streichelt ihre Hand und beide lächeln. Ich spüre ein stechendes Brennen in der Brust. Noch vor wenigen Wochen hat er sie abserviert, jetzt ist sie der notgedrungene Ersatz für mich. Als Scarlett mich sieht, zieht sie die rechte Augenbraue hoch und flüstert Gordon etwas ins Ohr. Er schüttelt nur den Kopf und nimmt sie in den Arm. Ich wende meinen Blick von ihnen. Taylor betrachtet mich von der Seite: ,,Mach dir keinen Kopf. Vergiss den Spinner" Ich lächele gezwungen: ,,Ach was, es ist mir doch egal was die beiden da treiben, ich hab doch jetzt Steve" Ich erwarte eigentlich ein Lächeln von Taylor, aber seine Mine verfinstert sich bei diesen Worten. ,,Was ist los?", frage ich ihn erschrocken. Dann lächelt er auf einmal. ,,Nichts!", winkt er ab und wendet seinen Blick von mir.

 

Die Tage darauf höre ich noch immer nichts von Steve. Ich schreibe ihm SMS und versuche ihn anzurufen ­ vergebens. Nach einiger Zeit fange ich an, mir Sorgen zu machen. ,,Was glaubst du?", frage ich Taylor , ,,Was ist mit Steve los? Ob er sauer ist?" Taylor zuckt mit den

 

Achseln. ,,Wahrscheinlich ist er einfach wieder abgehauen." Diese Worte versetzen mir einen Tritt und ehe ich mich versehe habe ich ihm eine Backpfeife verpasst. Er sieht mich überrascht an, ich schaue nicht anders drein. ,,Tut...Tut mir Leid!", rufe ich erschrocken . ,,Macht nichts...", murmelt Taylor, sieht mir nicht in die Augen. ,,Aber...Du darfst sowas nicht sagen! Er würde niemals gehen, ohne sich zu verabschieden!", Tränen stehen in meinen Augen. Hat er mich tatsächlich verlassen?

 

Ohne ein Wort des Abschieds?

 

Den Tag darauf, beschließe ich meinen Lehrer nach Steve zu fragen. Er muss es wissen.

 

Nach der Stunde gehe ich auf sein Pult zu. Er sieht mich fragend an. ,,Was gibt es, Miss Bailey?", fragt er und rückt seine Brille zurecht.

 

,,Wissen sie, was mit Ste...", ich zucke zusammen und beiße mir auf die Zunge ,,..mit Herrn Donahue ist?" Mein Lehrer seufzt und sieht sich um. ,,Nun es ist so", er räuspert sich.

 

In diesem Moment schaut er mir so in die Augen wie ich es schon einmal gesehen

 

habe. Er nimmt seine Brille von der Nase und legt sie auf den Tisch. In dem Moment weiß ich, dass ich es nicht hören will. ,,Er hatte vor einigen Tagen einen schlimmen Unfall. Er war sofort tot." Ich glaube, herzloser kann man diese Worte nicht aussprechen. ,,Aber, wieso sagt das denn niemand?", rufe ich ungläubig und aufgebracht. Noch kann ich nicht realisieren, was mir soeben mitgeteilt wurde. ,,Er war kein Lehrer Miss Bailey. Wer die Zeitung ließt ist darüber sowieso informiert", mit diesen Worten steht er ruckartig auf und verlässt den Raum. Im Türrahmen bleibt er stehen und fügt mir mit dem Rücken zu gewandt hinzu: ,,Es wäre besser Sie würden, wie die anderen in die Pause gehen". Dann höre ich wie die Tür ins Schloss fällt. Und wieder starre ich ungläubig vor mich hin. Ist das ein Scherz? Ein schlechter Scherz? Ich will schreien, alles kurz und klein schlagen. Das kann es doch nicht sein! Das darf nicht sein! Ich renne auf die Straße rutsche aus, lande in einer Pfütze. Ich kann nicht mehr. Was soll das? Die Tränen laufen meinen Wangen herab. Wieso? Wieso sterben alle Menschen die mir so wichtig sind? Wieso?

 

Ich zittere und kriege kaum Luft. Ich muss fort, einfach fort von hier. Steve! Steve!

 

Ich kann nicht mehr, mir wird übel. Keine meiner SMS, keiner meiner Anrufe konnte ihn erreichen. Tod!

 

Schluchzend und nach Luft ringend blicke ich zu Boden. ,,Tut mir Leid Jillian", wimmere ich, ,,Ich kann ihn nicht mehr zum Essen einladen. Ich kann nicht..."

 

 

 

Ich bleibe tagelang im Bett liegen, Taylor bringt mir jeden Tag Schokolade oder Blumen; leistet mir Gesellschaft. Meine Vergangenheit scheint mich eingeholt zu haben. Ich kann es einfach nicht fassen. Jede Nacht plagen mich Albträume, in denen mich Mama, Papa und Steve jagen. Taylor streicht mir die Haare aus dem Gesicht. ,,Grace, ich möchte mit dir ans Meer fahren", flüstert er mir zu und lächelt. ,,Ans Meer?", ächze ich schwach. ,,Ans Meer", wiederholt er die Worte, sie klingen warm und liebevoll. ,,Wir kriegen dich schon wieder auf die Beine.", sagt er und lächelt wieder. ,,Nein...", seufze ich, ,,Sieh mich an.. Was aus mir geworden ist." Er stupst mir auf die Nase, ,,Denk doch mal an den wunderschönen Sonnenuntergang, Grace! Und an das Meer! Wie schön es ist" Ich muss unwillkürlich lächeln, als ich mir das Meer vorstelle, wie ich und Taylor am Strand entlang spazieren.

 

Hand in Hand.

 

,,Ja", antworte ich und verspüre auf einmal wieder Lebensfreude. ,,Wir fahren gleich Morgen Früh los!", lacht Taylor und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

 

Er will gerade gehen, da rufe ich ihn zurück: ,,Taylor" Er bleibt stehen und sieht mich fragend an. ,,Ja?" Ich lächele und richte mich im Bett auf. ,,Du bist der beste Freund den man haben kann" Er erwidert mein Lächeln und setzt scherzend hinzu: ,,Ich weiß doch"

 

 

 

--ende--

 

Geschrieben von Renate Wunder



Diese Geschichte wurde von Renate Wunder Geschrieben und Verfasst und ist somit ihr geistiges Eigentum.
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